Die „rote Sirene“ fällt auf. Optisch und durch ihre Art. Ihr Kampfgeist ist legendär: Karin Kestner kämpfte lautstark gegen das CI oder die orale Erziehung – als hörende Frau. Angefangen hat alles vor über 25 Jahren: Karin hat als junge Frau den Film „Gottes vergessene Kinder“ gesehen. Mindestens vier- oder fünfmal. Besonders eine Gebärde hat sie sich daraus gemerkt: „Liebe“. Und dann wusste sie: sie muss Gebärdensprache lernen.
Erstes Engagement
Ihren ersten Einsatz als Dolmetscherin hatte Karin Kestner für Knut Weinmeister. Sie war total aufgeregt und unsicher. Zu Beginn war es wohl auch eher LBG als reine DGS. Um ihre Grammatik und ihren Wortschatz zu verbessen empfahl Knut Weinmeister ihr, das Gehörlosenzentrum zu besuchen. Und dann saß sie dort dreimal in der Woche und hat alles in sich aufgesogen und ihre Gebärdensprache kontinuierlich verbessert. Bis heute ist sie Knut und seiner Familie eng verbunden – und fast so etwas wie seine „zweite Mutter“.
Immer im Einsatz für Kinder und Eltern
Das Angebot für hörende Eltern war früher überschaubar. Und Karin Kestner fiel sofort auf, dass es zwar VHS-Kurse für Erwachsene gab, doch die betroffenen Kinder außen vor waren. Die Eltern sollten ihr frisch erworbenes Wissen an die Kinder zuhause weitergeben – ohne irgendeine Qualitätskontrolle. Hier kam der jungen Frau die erste Idee für eine Verbesserung: Warum nicht Gebärdensprachdozenten zu den Familien nach Hause schicken, um sie dort zu unterrichten? Karin Kestner wälzte verschiedene Gesetzesbücher, suchte die passenden Paragrafen heraus und warb mit ihrer Idee bei den Dozenten und Eltern. Die haben dann jeweils einen Antrag gestellt – mit Erfolg. Die Hausgebärdenkurse waren „geboren“. Bis heute zahlt das Sozialamt diese Kurse – auch wenn man sie in manchen Fällen immer noch erstreiten muss.
"Durch Gebärdensprache hat sich mein Leben verändert. Ich habe Sinn für mich und meinen Beruf gefunden. Eigentlich hat sie mein Leben umgekrempelt. Sollte mein Leben bald zu Ende gehen – wer weiß – kann ich sagen: Ich bin zufrieden!"
Karin Kestner
Wird dort aktiv, wo es nötig ist
Das war nur ein Startschuss für das Engagement und die Erfolge der aktiven Frau. Sie verfasst Bücher (z.B. „Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdenlexikon“ und sogar Computer-Lernprogramme für Kinder, in denen sie Gebärden auflistet und erklärt. Sie informiert auf Tagungen, wie das CI Familien beeinflusst. Und setzt sich dafür ein, dass gehörlose Kinder Regelschulen besuchen können. Kurzum: Sie sieht hin und wird dort aktiv, wo es klemmt.
Und auch in ganz privaten Angelegenheiten ist sie bereit zu helfen. So wurde sie beispielsweise für Knut Weinmeister wie eine zweite Mutter: Er beeinflusste sie, noch intensiver die Gebärdensprache zu erlernen, sie half ihm, seinen Berufswunsch familiär durchzusetzen. Und auch sonst motivierte sie die Gehörlosen, für ihre Rechte und Wünsche einzustehen – und dafür auch zu streiten.
"Ich denke ich habe mehr die pragmatische Seite. Ich habe mit vielen Eltern Kontakt und treffe so viele Menschen. Ich bin ja keine Universität – meine Arbeit ist anders – an der Uni geht es um die Wissenschaft und Forschung. Mir geht es eher um den praktischen Bereich."
Karin Kestner
... über Karin Kestner
Björn Blumeier
„Sie ist die Mutti der Gehörlosen. Als hörende Frau hat sie ihr gesamtes Leben für Gehörlose geopfert – da gab es nichts anderes, sie war voll und ganz darauf fokussiert. Unglaublich!“
Ein langsamer Rückzug
Vor zweieinhalb Jahren dann der Schicksalsschlag: Bei Karin Kestner wird Bauchspeicheldrüsen-Krebs festgestellt. Das heißt OP und die ganze Bandbreite der Behandlungsmöglichkeiten. Der Krebs ist noch da, jetzt kämpft sie für sich.