Bestimmt stellt ihr euch auch immer wieder die Frage, welche Wörter für eine Kommunikationshilfe wichtig sind und ob mit diesen ausgewählten Wörtern eine Kommunikation zufriedenstellend möglich sein wird. Diese Entscheidung verlangt genaue Überlegungen, denn schließlich tragen wir (Eltern, Lehrer, Erzieher, Therapeuten…) die Verantwortung, dass der Nutzer mit seiner Hilfe im Alltag stets „die richtigen Wörter“ finden und nutzen kann.
Zum Thema „Kern- und Randvokabular“ gab es im Jahr 2007 ein Forschungsprojekt an der Uni Köln von Prof. Dr. Jens Boenisch und Dr. Stefanie K. Sachse. Dabei wurden Kommunikationsordner und verschiedene Kommunikationstafeln entwickelt, die Kern- und Randvokabular beinhalten. (siehe unten *1) Das Konzept des „Zielvokabulars“ wurde von Gail van Tatenhove im Jahr 2008 entwickelt und 2011 von S. Sachse und M. Willke durch das Thema „Fokuswörter“ ergänzt. (*2)
Beide Ansätze sind heute in der Unterstützten Kommunikation (UK) eng miteinander verknüpft und sollten bei der Erstellung eines Wortschatzes Berücksichtigung finden.
Kleine Wörter mit großer Bedeutung!
Die sogenannten kleinen Wörter sind die Wörter des Kernwortschatzes: Jeder benutzt sie ständig – sie machen 80% unserer Sprache aus – und das unabhängig vom Alter des Sprechers, des Themas, der Bildung und unabhängig von einer Behinderung. Dieser Kernwortschatz umfasst etwa 200 – 300 Wörter:
- Artikel: der, die, das, ein, eine…
- Hilfsverben: haben, machen, möchten, können, sein…
- Pronomen: ich, du, er sie, es, wir, ihr, sie, mir, mein…
- Konjunktionen: aber, oder, als, und, weil, denn, wenn…
- Adverbien: auch, allein, fast, fertig, genug, hier, immer, jetzt, nie, nochmal, sehr, so, weg, zusammen…
- Fragewörter: wie, was, wann, wo, wie, warum…
Die Ausdrucksmöglichkeiten mit diesen kleinen Wörtern sind vielfältig. Sie füllen und steuern ein Gespräch und je nach Kombination drücken sie etwas anderes aus, z. Bsp. „ich kann dies nicht“, „ich kann nicht“ „kannst du das nicht„, „ich will nicht nochmal“, „du nicht“, „warum nicht“…
Beispiel-Dialog:
A: „Was machst du am Wochenende?“
B: „Ich weiß noch nicht. Und du?“
A: „Ich möchte ins Kino gehen. Möchtest du das auch?“
B: „Ja, das ist eine gute Idee! Das möchte ich auch!“
Dieser kurze Dialog besteht aus 30 Wörtern. Davon sind 26 aus dem Kernvokabular und nur 4 Wörter (Wochenende, Kino, gehen, Idee) aus dem Randvokabular. Das Randvokabular umfasst themenspezifische Wörter, sie sind also inhalttragend und bestehen meist aus Substantiven, Verben und Adjektiven. Also egal, über was wir uns unterhalten: über das Wetter oder über Erlebtes bei der Arbeit oder über einen Kinofilm – wir benutzen dabei hauptsächlich Wörter aus dem Kernwortschatz.
Wie sieht das bei Kommunikationshilfen aus?
Es war lange Zeit und ist teilweise auch noch heute üblich, dass in Kommunikationsmappen und auf elektronischen Geräten hauptsächlich Substantive, Verben und Adjektive zu finden sind, also themenspezifisches Randvokabular. Diese Wörter lassen sich leicht bildlich und somit verständlich mittels Fotos oder Bildsymbolen darstellen.
Die kleinen Wörter dagegen wurden häufig weg gelassen, da sie nicht-bildproduzierend sind. Sie werden somit über abstrakte Bildsymbole dargestellt (z. Bsp. über Metacom-Symbole oder PCS-Symbole). Diese sind jedoch für den Nutzer nicht sofort verständlich und müssen regelrecht gelernt und eintrainiert werden.
Foto zum Kommunikationsordner mit Kern- und Randvokabular nach dem Vorbild der „Moheco-Mappe“.
Wie sieht das in der normalen Sprachentwicklung aus?
Kleine Kinder erwerben ihre Sprache und Kommunikationsfähigkeit ganz anders als ein unterstützt kommunizierendes Kind. Kommunikation wird ihnen von den Eltern nicht beigebracht oder besonders geschult, sondern entwickelt sich im alltäglichen sozialen Miteinander in der Familie und später in der Kindertagesstätte. Schon das kleinste Kind bekommt täglich einen großen sprachlichen Input: Die Eltern sprechen mit dem Kind – das Kind hört andere sprechen – es hört vielleicht auch Sprache vom Radio, vom Fernseher. Vom ersten Tag an hört es etwa 4000 Wörter täglich und beginnt nach 1 – 2 Jahren die ersten wenigen Wörter selbst zu sprechen. (*3)
Modelling in der Unterstützten Kommunikation
Die Wörter des Kernvokabulars dürfen unterstützt kommunizierenden Menschen nicht vorenthalten werden, nur weil sie auf bildhafter Ebene schwer verständlich darstellbar sind. Hier setzt beim Üben mit der Kommunikationshilfe das sogenannte „modelling“ ein, das heißt, dass das Umfeld des Nutzers auch die Kommunikationshilfe benutzt und entsprechend zeigt und vormacht, wo die entsprechenden Wörter zu finden sind, wie kleine Sätze formuliert werden können. (*3)
Das heißt, dass der Kommunikationspartner das Verhalten des UK-Nutzers versprachlicht wie z. Bsp. „Ich glaube du möchtest sagen“ und zeigt auf das Bildsymbol „Ich finde das ist super!“ (*3)
„Viele UK-Angebote unterscheiden sich also von der Art und Weise wie sich Kommunikation eigentlich entwickelt, weil UK sich im Gegensatz zu Lautsprache nicht von alleine entwickelt und somit eine künstliche Form der Kommunikation darstellt. Hinzu kommt, dass die Kommunikationspartner des UK-Nutzers die UK-Sprache selbst nicht als Muttersprache sprechen und die Verwendung für sie vergleichbar ist mit einer Fremdsprache, die sie oft selbst erst erlernen müssen.“ (Zitat *3)
Was sind Fokuswörter?
Gail van Tatenhove hat 2008 vorgeschlagen, über mehrere Jahre einen (Ziel-) Wortschatz zu erarbeiten, der vor allem aus sogenannten „kleinen Wörtern“ (= Kernvokabular), aber auch aus häufig benutzten Wörtern des Randvokabulars besteht. Dieses Zielvokabular ist in der folgenden Tabelle nach Kommunikationsfunktionen geordnet. Dadurch können die Wörter leichter in lebenspraktischen Übungen verwendet, bzw. mit der entsprechenden Kommunikationsform (z. Bsp. Bildsymbole, Gebärden) geübt und eintrainiert werden.
Aus diesem Zielvokabular rücken nach und nach 5 – 6 Wörter in den „Fokus“ und werden in einem festgelegten Zeitraum als Fokuswörter in verschiedenen Situationen konsequent verwendet. Nach diesem Zeitraum wird evaluiert und im Team entschieden, ob die gleichen Wörter über einen weiteren Zeitraum verwendet werden oder ob bereits erste Erfolge der Nachahmung, bzw. eigener Anwendung beobachtet werden konnten. (*2)
S. Sachse und M. Willke haben im Jahr 2011 folgende Fokus-Wortreihen und entsprechende Kommunikationsfunktionen vorgestellt:
Vorschläge, wie Kernvokabular / Fokuswörter ganz praktisch geübt werden können
Ganz klar ist, dass die Anwendung des Kernvokabulars durch konsequente Übung dauerhaft gefestigt werden muss. Am besten gelingt dies, indem der unterstützt Kommunizierende die Wirksamkeit der Sprache in unterschiedlichen Situationen aktiv erleben kann. Kinder lernen beim gemeinsamen Spiel in der Interaktion mit einem Gegenüber und durch Vormachen des Gegenübers. Das heißt: Wir spielen und wir sind Models! Das gezielte sprachliche Angebot wird vom Therapeuten kindgerecht und lebensnah immer wieder in unterschiedlichen Kontexten angeboten. Dabei können die Kommunikationsfunktionen mit berücksichtigt werden (siehe Tabelle mit 12 Modulen von Gail van Tatenhove und die Fokuswortreihen von S. Sachse/M.Willke). Die Auswahl orientiert sich an den jeweiligen Interessen und dem Entwicklungstand der Person.
Fingerspiele, Kniereiter, Lieder, Spiele und Bilderbücher für die Kleinsten
bieten sich an, erste wichtige Wörter aus der Fokus-Wortreihe (Kommunikationsfunktion „Erstes Steuern von Aktivitäten“ zu üben: „nochmal“, „fertig“ oder „nicht“, z. Bsp. mit Gebärden: Willst du nochmal singen, schauen, spielen… Das Kind darf entscheiden und wir benennen/gebärden entsprechend „wir spielen nochmal“ oder „wir sind fertig“ oder „wir spielen nicht“. Dabei können wir Kärtchen mit den drei Bildsymbolen verwenden, und nach der Entscheidung des Kindes entsprechend zeigen und z. Bsp. auf eine Filztafel kletten.
Memory und Bilderlotto
mit selbst hergestellten Symbolkärtchen mit Kernvokabular. Damit wird vor allem die Wahrnehmung geschult, da immer zwei gleiche Symbole gefunden werden müssen.
Layoutvorlagen für Office-Programme findet ihr auf der DVD von Annette Kitzinger.
Die Besonderheit dieser Symbolsammlung ist, dass es 312 Symbole zur Kategorie „kleine Wörter“ gibt.
Bingo
Da dieses Spiel allen Altersstufen mit und ohne Beeinträchtigung großen Spaß macht, schreibe ich hier eine vereinfachte Bingo-Regel:
Zu jedem Spiel gehören einzelne Bildkärtchen zu den Begriffen und 5 Bingo-Seiten (für 5 TN) mit jeweils 4 mal 4 unterschiedlich angeordneten Begriffen.
Die laminierten Kärtchen liegen in einer Schachtel. Jeder Mitspieler erhält ein Bingo-Blatt und kleine Spielsteine (z. Bsp. Glas-Nuggets oder Muggelsteine). Bingo-Blätter so verteilen, dass der Nachbar ein anderes Blatt (wahlweise Bingo 1-5) erhält. Das verhindert das Abgucken und erhöht die Spannung. Der Spielleiter zieht jetzt ein Kärtchen aus der Schachtel und zeigt es reihum und benennt es, evtl. mit Gebärde. Alle Mitspieler suchen nun auf ihrem Blatt diesen gleichen Begriff. Wurde das Wort auf dem Bingo-Blatt gefunden, wird ein Spielstein darauf gelegt. Der Spielleiter zieht wieder ein Kärtchen und zeigt es, benennt es usw. Wer als erster eine ganze Reihe (waagrecht oder senkrecht) mit Steinchen belegt hat ist der Sieger in dieser Runde.
Brettspiel „Alle würfeln mit“ von Marcel Feichtinger
Die eigentliche Idee die hinter diesem schönen Spielbrett aus Holz steht: ein zweckfreies Gesellschaftsspiel, für alle Altersstufen geeignet, ungeachtet der sprachlichen, körperlichen oder kognitiven Fähigkeiten.
Es ist möglich, dieses Spiel selbst zu einem Lernspiel für Unterstützte Kommunikation weiter zu entwickeln. So kann u.a. auch das Thema „Kernvokabular“ durch entsprechende Gestaltung der Blanko-Würfel berücksichtigt werden und gemeinsam auf spielerische Art geübt werden. Nähere Informationen dazu:
http://www.alle-wuerfeln-mit.de/
Bilderbücher
Zum Beispiel von Eric Carle mit wiederkehrenden Texten:
Wörter: ich, sein, können, du, das, auch Wörter: allein, wollen, wir, sein, nein
Bilderbuch-Listen mit weiteren geeigneten Bilderbüchern findet ihr auf folgender Seite:
http://www.ukcouch.de/
Kennt ihr schon die Bücher vom kleinen Geist? Sie sind gespickt mit Kernvokabular, also mit Wörtern, die im Alltag ganz oft verwendet werden. Auch diese findet ihr zum Kaufen auf der Internetseite ukcouch.de und einige sogar zum kostenlosen Download und selbst herstellen (ausdrucken, laminieren und zusammenfügen).
Weitere Ideen auf den beiden Facebook-Seiten:
„Unterstützte Kommunikation“ und „Unterstützte Kommunikation (UK)“
Hier findet ihr immer wieder tolle Ideen rund um UK und auch speziell zu den „kleinen Wörtern“ und den „Fokuswörtern“:
Spiele zum Kaufen von Ana Holenstein-Wyrsch
Die Spielesammlung „Der Elefant“ liefert Ideen für eine Kommunikationsförderung, die am Kernwortschatz ausgerichtet ist. Die 25 Spiele sind nach Kommunikationsfunktionen geordnet, und die Zielwörter jedes Spiels sind als Metacom-Symbole dargestellt. Sie sind konzipiert für die Kölner Kommunikationstafeln, eignen sich aber für alle Formen von Unterstützter Kommunikation.
Mit den Karten- und Würfelspielen „Das Krokodil“ werden Wörter aus dem Kernwortschatz entdeckt und geübt. Die sieben Spiele sind anschaulich beschrieben, die Zielwörter jedes Spiels sind als Metacom-Symbole dargestellt. Es liegen leere Spielkarten bei, welche mit Symbolen von selbst gewählten Wörtern beklebt werden können.
Nähere Informationen können auf der Internetseite von Ana Holenstein-Wyrsch nachgelesen werden: http://kleinewoerter.ch/
Bestimmt kennt ihr noch weitere tolle Ideen rund um das Thema Kernvokabular!
Ich freue mich auf eure Beiträge hier im Blog!
Abschließend danke ich euch für euer Interesse und freue mich, wenn ihr diesen Artikel weiter empfehlt!